Luzide Träume: kann man die eigenen Träume gestalten?

Luzide Träume werden auch "Klarträume" genannt. Sie zeichnen sich durch das Bewusstsein für den aktuellen Traumzustand aus und können gezielt beeinflusst werden.
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Im Traum lernen und damit im stressigen Alltag Zeit und Ressourcen sparen? Das ist eine Vorstellung, die sich für viele Menschen sehr attraktiv anhören dürfte. Kinder legen ihre Mathebücher unter das Kopfkissen, um am nächsten Tag gut in der Prüfung abzuschneiden, Erwachsene lassen sich im Schlaf Mantras zur Rauchentwöhnung vorlesen - beides aus wissenschaftlicher Sicht eher zweifelhafte Tätigkeiten, um zum gewünschten Erfolg zu gelangen. In letzter Zeit bekommt der Klartraum (auch “luzider Traum” genannt) immer mehr Aufmerksamkeit von Wissenschaftler*innen und Menschen, die ihre Achtsamkeit schulen wollen. 

Wir besprechen in diesem Artikel:

Was genau ist das “luzide Träumen”? 

Luzide Träume werden im deutschen Sprachraum auch als Klarträume bezeichnet. Die Bezeichnung ist nicht ganz einheitlich definiert und wird auch unter Wissenschaftler*innen diskutiert. Wichtigstes Kriterium ist in jedem Fall, dass sich die Träumenden während des Traumes jederzeit bewusst darüber sind, dass sie sich aktuell in einem Traum befinden.

Die Erkenntnis in einem Traum zu sein, folgt sehr häufig einem unmöglichen Ereignis. Das kann ein Drache im Schlafzimmer sein, aber auch das Auftreten eines verstorbenen Verwandten oder die Möglichkeit zu fliegen. Ab diesem Zeitpunkt ist aus einem ganz normalen Traum ein Klartraum geworden. Die Bezeichnung “luzide” (lateinisch für “klar”) beschreibt dabei die Klarheit, mit der der luzide Traum als solcher eingeordnet werden kann. 

Neben dem Bewusstsein für den erlebten Traum gibt es noch andere Kriterien, die für die Definition luzider Träume herangezogen werden. So können sich Menschen während des Traums an das eigene “wache” Leben erinnern. Dieses Erinnern soll lückenlos und unverzerrt möglich sein. Teilweise gilt auch die Einflussnahme auf das Geschehen als ein Anzeichen für einen luziden Traum. 

Es handelt sich beim Klartraum also um einen Bewusstseinszustand, in dem ein Mensch träumt und diesen Traum wahrnehmen, beeinflussen und steuern kann. Wer die Fähigkeit des Klartraums gemeistert hat, darf sich die klangvolle Beschreibung “Oneironaut*in” geben.

Luzides Träumen lernen: Wie werde ich ein*e Oneironaut*in?

Kinder träumen häufiger klar als Erwachsene.
Sie verlieren die Fähigkeit meistens beim Älterwerden.
Bildquelle

Kindern fällt das luzide Träumen noch sehr leicht. Sie berichten oft von Schlafzuständen, in denen ihnen das Träumen bewusst ist. Auch haben sie sehr häufig noch großen Einfluss auf den Verlauf des Traums und können ihre Abenteuer aktiv gestalten. Je älter sie werden, desto weniger ausgeprägt wird ihre Fähigkeit zum Klarträumen bis sie bei vielen Erwachsenen kaum bis gar nicht mehr vorhanden ist. Um das luzide Träumen auch im Erwachsenenalter zu erlernen, gibt es bisher kein allgemeingültiges Rezept. Allerdings gibt es einige Möglichkeiten, um seine Fähigkeiten zum Klartraum zu schulen.

Realitätschecks können z.B. die Anzeige von Uhren beinhalten. Bildquelle

Zum einen kann die Überprüfung des Wachzustandes regelmäßig geübt werden. Dies wird auch “Realitätscheck” genannt. Dazu zählt etwa das Kneifen in den Arm (das im wachen Zustand fühlbar ist, im Klartraum jedoch nicht), aber auch das Wahrnehmen von Uhren im Umfeld (diese scheinen im Klartraum in der Regel keine Uhrzeit anzuzeigen). Generell hilft die wiederholte Frage nach dem aktuellen Bewusstseinszustand sehr, um einen Automatismus zu entwickeln, der dann auch während eines luziden Traums das Vorhandensein der Realität abfragt.

Viele Menschen berichten, dass es ihnen bei der Einleitung eines Klartraumes hilft, morgens früh aufzustehen, um sich dann etwa eine Stunde später wieder ins Bett zu legen. Hierdurch soll das Erreichen eines luziden Traums vereinfacht werden.

Auch mehr Achtsamkeit im eigenen Leben scheint einen positiven Einfluss auf die eigene Wahrnehmung im Traum zu haben. Neben jungem Alter und häufigen Versuchen klar zu träumen war Achtsamkeit im Wachzustand einer der starken Anzeiger für die Kontrollierbarkeit eines luziden Traumes in einer 2016 durchgeführten Studie von Erlacher und Stumbris

Die MILD-Technik

Eine bekannte Methode, nach der das luzide Träumen eingeleitet und geübt werden kann, ist die MILD-Technik. Diese geht auf Stephen LaBerge zurück, einen amerikanischen Klartraumforscher, der in seiner Doktorarbeit erstmals wissenschaftlich die Existenz des Klartraumes bewies.

MILD ist ein Akronym und steht für “Mnemonic Induced Lucid Dream”, was etwa "Gedächtnis-induzierter Klartraum" bedeutet. Sie soll am besten in den frühen Morgenstunden funktionieren, da die REM-Phasen hier besonders lang sind. 

Die Technik besteht aus fünf Schritten:

  1. Aufbau einer Traumerinnerung
    Vor dem Einschlafen wird sich fest vorgenommen, in Traumphasen aufzuwachen und sich dabei an die letzten Träume zu erinnern. 
  2. Letzten Traum in Erinnerung rufen
    Wird man tatsächlich wach, soll der letzte Traum sofort aktiv erinnert werden. Am besten sollen dabei die Geschehnisse vor dem inneren Auge erneut abgespielt werden.
  3. Eine Absicht festlegen (Autosuggestion)
    Dies wird von vielen als der kritische Punkt der MILD-Technik angesehen. Nach der Erinnerung konzentriert man sich auf die Absicht, in einen Klartraum eintauchen zu wollen. Hierbei ist es wichtig, nicht wieder in andere Gedanken abzudriften. Ein Mantra wie “Beim nächsten Traum möchte ich daran denken, das Träumen zu erkennen.” kann helfen. 
  4. Sich selbst im luziden Traum vorstellen
    Neben der in Punkt 3 beschriebenen Autosuggestion, stellt man sich vor, wieder in den zuletzt erlebten Traum zurückzukehren (und dieses Mal bewusst wahrzunehmen, dass man sich in einem Traum befindet). LaBerge empfiehlt dabei, sich ein Traumzeichen vorzustellen, an dem man den Traum als solchen erkennen kann (etwa ein schwebendes Gefühl, verzerrte Proportionen, Unschärfen im Gesichtsfeld oder unrealistische Lebenssituationen). Auf diese Art spielt man den Traum noch einmal als “luzide Variante” durch.
  5. Wiederholungen
    Nun gilt es, die Schritte drei und vier so lange zu wiederholen, wie es sich richtig anfühlt, bevor man wieder einschläft. Wenn man lange braucht, um einzuschlafen, können die Schritte auch recht häufig wiederholt werden - dies soll die Wahrscheinlichkeit zum Klarträumen sogar weiter erhöhen. Wer sehr schnell wieder einschläft, kann sich durch einen kurzen Spaziergang durch die Wohnung oder das Aufschreiben des letzten Traumes ein wenig “wacher” machen und dann die gewonnene Zeit für die Schritte drei und vier nutzen.

In den frühen Morgenstunden (nach ca. 5 Stunden Schlaf) ist das luzide Träumen besonders wahrscheinlich.Bildquelle

Die MILD-Technik nach LaBerge gilt nach wie vor als eine sehr erfolgreiche Methode, um das Klarträumen zu erlernen. Erfolge stellen sich häufig bereits nach zwei bis drei Wochen ein (so lange sollte man allerdings Geduld haben und weiter üben). Am besten wird sie gepaart mit Achtsamkeitsübungen und Realitätschecks.

Da ein wichtiger Bestandteil der MILD-Technik die Erinnerung an den vergangenen Traum ist (auch “Traumfokus” genannt), sollte diese Fähigkeit am besten bereits vor Anwendung der MILD-Technik erlernt werden. Der Traumfokus kann vor allem durch das Führen eines Traumtagebuches erhöht werden: Nach dem Aufwachen sollten alle Erinnerungen abgerufen und aufgeschrieben werden. Dies schult das Gedächtnis und hilft, mehr bewussten Zugang zu den eigenen Träumen zu erlangen.

Das sagt die Wissenschaft: Effektivität des Klartraums 

Nachdem sich in den letzten Jahrzehnten viele Wissenschaftler*innen, wie auch LaBerge, mit dem Phänomen des luziden Traums beschäftigt und immer mehr Belege für seine Existenz gesammelt haben, ist der Klartraum aus der esoterischen Ecke ins Zentrum der Wissenschaft gerückt. 

Es konnten inzwischen veränderte Aktivitäten während der luziden REM-Phase im Vergleich zur trägeren, normalen REM-Phase gezeigt werden. Auch konnten durch Messung von Augenbewegungen schlafender Probanden das gleichzeitige Vorhandensein von Tiefschlaf und Bewusstsein gezeigt werden.

Einer der führenden Wissenschaftler, die sich in den letzten Jahren mit dem Phänomen des Klartraums beschäftigten, ist Dr. Denholm Aspy. Nach eigenen Angaben hatte er in der Nacht vor der Festsetzung des Themas für seinen Ph. D. in Psychologie einen luziden Traum. Dieser habe ihn so inspiriert, dass er sich lieber damit beschäftigen wollte anstatt mit seinem bis dahin geplanten Thema der nonverbalen Kommunikation.

Luzide Träume können bei wiederholten Albträumen hilfreich sein. Bildquelle

Neben dem unterhaltsamen und inspirierenden Wert von beeinflussbaren Träumen haben sich Wissenschaftler*innen auch mit der Frage beschäftigt, wie Klarträume für den Menschen nutzbar gemacht werden können. 

Dabei geht es unter anderem um die Verarbeitung von Ängsten und Traumata, die sich in Albträumen zeigen. Albträume können schon alleine durch die Tatsache, dass sie als Traum wahrgenommen werden können, weniger erschreckend wirken. Gleichzeitig kann durch die Beeinflussung des Traumgeschehens auch eine Auseinandersetzung möglich werden, die vorher nicht erlebbar war. So kann beispielsweise die Konfrontation mit einem Traum-Monster ganz anders ausgehen als in einem unbewussten Traum - etwa mit der Anfreundung mit dem Monster oder aber durch das Erkennen seiner Ungefährlichkeit. So soll auch die Arbeit mit Traumata und Ängsten, die sich in Träumen zeigen, möglich werden. 

Gleichzeitig wurde immer wieder darüber spekuliert, ob luzide Träume für das Lernen von Fähigkeiten genutzt werden können.

Motorische Fähigkeiten im Traum erlernen 

Um die Wirksamkeit des Trainings motorischer Fähigkeiten im Rahmen luzider Träume zu untersuchen, stellte Prof. Dr. Daniel Erlacher in seiner Studie von 2005 das gedankliche Training von Bewegungsabläufen während eines Klartraums dem physischen Training gleicher Bewegungsabläufe gegenüber. 

Gelernt wird beim luziden Träumen nur die Bewegungstechnik, nicht die motorischen Fähigkeiten. Bildquelle 

Im Rahmen der Untersuchungen wurden verschiedene Versuche durchgeführt. In diesen zeigte Erlacher zunächst, dass zeitgleich zu luziden Träumen Veränderungen im Körper (wie etwa in der Herzfrequenz) beobachtet werden können. Er stellte darüber hinaus fest, dass das gezielte Üben eines Bewegungsablaufes im Klartraum möglich ist und fand zudem Hinweise darauf, dass das Training im luziden Traum zu einer Verbesserung der Leistung führen kann.

Dieses Phänomen kennt Prof. Dr. Erlacher auch aus eigener Erfahrung. “Während meiner Promotion führte ich für mich eine kleine Einzelfallstudie durch, in der ich mir das Jonglieren im Traum beibringen wollte. Leider hat es dafür am Ende nicht genug Klartraumtrainings gegeben.”, erklärt Prof. Dr. Erlacher in seinem Interview mit OpenD.

Es scheinen also einige Anwendungsmöglichkeiten innerhalb des sportlichen Trainings denkbar, die teilweise auch bereits angewendet werden. So ist das Trainieren etwa während Verletzungspausen weiterhin (im Traum) möglich oder es können anderweitige Trainingspausen besonders effektiv genutzt werden (etwa die notwendigen Erholungstage nach intensiven Trainings- oder Wettkampftagen). In solchen Situationen greifen bereits einige Trainer von Hochleistungssportlern auf Klarträume zur Unterstützung zurück.

Ist luzides Träumen mit Risiken verbunden? 

Zwar sind bisher kaum Risiken und Nebenwirkungen bekannt, dennoch raten Experten zur Vorsicht beim Erlernen von luziden Träumen in Eigenregie. Bisher fehlen Langzeitbeobachtungen, die unerwünschte Wirkungen ausschließen können. 

Abschätzungen zu “Nebenwirkungen” des häufigen luziden Träumens gibt es noch nicht. Bildquelle

Neben bisher gänzlich unbekannten Risiken wird von einigen Menschen die möglicherweise unzureichende Erholung bei häufigem Klarträumen befürchtet. Durch das bewusste Wahrnehmen und Steuern von Traumsequenzen könnte die REM-Phase das Verarbeiten der Eindrücke des Alltags nicht mehr optimal leisten können. In einer Gesellschaft, die sich immer mehr der Optimierung von Tätigkeiten, Fähigkeiten und dem Menschen selbst verschreibt, könnte eine Manipulation des Schlafs die negativen Folgen der konstanten Selbstoptimierung noch weiter verstärken. Aktuell können diese Gedanken jedoch nur als Spekulation bezeichnet werden. 

Fazit - luzide Träume als Chance

Dem aktuellen Kenntnisstand folgend stellen luzide Träume eine wichtige Chance dar, um uns mit uns selbst weiter auseinanderzusetzen und zu lernen. Eine spannende Bereicherung kann der Klartraum für all diejenigen sein, die ihre Träume zur Verwirklichung von Wünschen nutzen wollen, welche in der Realität nicht möglich sind (wie über die Erde zu fliegen oder fremde Orte zu bereisen). Aber auch in der Bewältigung von Albträumen und dahinter liegenden Gefühlen sowie bei der Unterstützung des motorischen Lernens hat sich das luzide Träumen als hilfreich erwiesen. Um eine mögliche Überforderung auszuschließen, empfiehlt sich ein regelmäßiger, ehrlicher Blick auf das eigene Wohlbefinden sowie die Absprache mit einem geschulten Mediziner - dann steht dem Experimentieren mit Klarträumen nichts im Wege! Wer sich nun noch tiefer ins Thema einarbeiten möchte, dem sei die umfangreiche Arbeit zum motorischen Lernen von Prof. Dr. Daniel Erlacher empfohlen. Hier werden auch die wissenschaftlichen Grundlagen des luziden Träumens noch einmal aufgearbeitet.